Das vegetative Nervensystem
Grundsätzlich gibt es ein Nervensystem, aufgeteilt in verschiedene „Untersysteme“, das, in seiner Gesamtheit, im Prinzip alle Vorgänge, Prozesse und Abläufe im und am Körper steuert und regelt.Angefangen vom Atmen und Sprechen, das Bewegen von Muskeln bis hin zu extrem komplexen Vorgängen im Gehirn wie Schach spielen oder Atomphysikforschung betreiben, auch z. B. das Entleeren des Darms, der Blase, die Produktion von körpereigenen Hormonen, das Heilen einer Wunde, einfach alles……………………….
Ohne Nervensystem wäre ein Leben, wie wir es mittlerweile kennen, nicht möglich (genauso wie ohne Lymphsystem!). Es muss eine übergeordnete Schaltzentrale geben, wo alle „Fäden“ zusammenlaufen. Im Falle des Nervensystems sind die Nerven die Fäden, die die Informationen über elektrische Impulse zur Schaltzentrale, dem Gehirn, weiterleiten, wo sie entsprechend „entschlüsselt“ und verarbeitet werden.
Nur ein Beispiel: Das Licht fällt in unsere Augen, der Sehnerv gibt diese Lichtinformation weiter, bis diese in einem bestimmten Teil des Gehirns zu den Bildern „zusammengesetzt“ wird, die wir dann „sehen“. Das heißt, wir sehen eigentlich nicht mit den Augen, sondern das Gehirn liefert uns die entsprechende Bildinformation. Wir nehmen mit der Nase Duftstoffe auf, sogenannte „Pheromone“, die ebenfalls in einem anderen bestimmten Teil des Gehirns zu den Gerüchen „zusammengesetzt“ werden, die wir als wohlriechend (z. B. ein Parfüm) oder als Gestank (Fußschweiß) empfinden.
Diese Beispielreihe könnte man beliebig fortsetzen, es wäre unter dem Strich immer das gleiche: Die Nerven liefern Informationen an das Gehirn, dort werden sie entsprechend entschlüsselt. In gleichem Maße geben aber die Nerven Informationen vom Gehirn an die „angeschlossenen“ Gebiete ab, z. B. „ich möchte aufstehen“: Blitzschnell geht der Impuls zu den entsprechenden Muskeln und die Bewegung wird ausgeführt, normalerweise….
Soviel zum allgemeinen Verständnis. Nun zum vegetativen Nervensystem:Das vegetative Nervensystem wird auch „autonomes“ Nervensystem genannt, weil es, eben wie der Name auch sagt, selbständig arbeitet, anders als der Rest. Das Gehirn, als oberster Punkt aller Schaltzentralen, hat nur teilweise oder besser gesagt zeitweise Einfluss auf das vegetative Nervensystem.
Auch hier ein Beispiel: Man stelle sich eine Prüfungssituation vor. Man ist sehr nervös. Die Blase wurde erst entleert, doch man muss schon wieder. Das Gesicht ist rot, als ob man erhitzt wäre, doch die Hände sind Eiszapfen. Es liegt keine Sprachstörung vor, doch man stottert, wenn der Prüfer einen etwas fragt. Wer kennt das nicht!?
Die Antwort ist relativ einfach. Das vegetative Nervensystem hat auf alle oben erwähnten Bereiche Einfluss und regelt diese normalerweise wunderbar. Nun ist aber eine Prüfungssituation eigentlich nicht alltäglich und der Körper kann sich nur schwer darauf einstellen und das System reagiert übertrieben und macht Fehler. Man weiß, daß man erst vor 2 Minuten auf der Toilette war und die Blase kann nicht schon wieder voll sein, doch das Gehirn meldet über die „falschen“ Nervenimpulse „Blase voll, Druck, geh‘ auf’s Klo!“ Im Gesicht sieht man lauter rote Flecken, d. h. die Durchblutung spielt verrückt und schickt zuviel Blut in den Gesichtsbereich, obwohl man es da gar nicht braucht, dafür fehlt es an den Händen, obwohl es im Raum normal temperiert ist.Man möchte ganze schöne Sätze sprechen, der Wille ist da, doch die Sprechmuskulatur gehorcht nicht mehr und es kommt nur Gestotter raus.
Hier trifft wohl der Satz zu: „Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach!“ Am liebsten wäre man ganz entspannt, aber der Körper regelt das so wie er will, man hat keinen Einfluss darauf.
Etwas fachlicher formuliert besteht das vegetative Nervensystem aus 2 Bereichen mit eigentlich unterschiedlichen Aufgaben:
Der eine Teil nennt sich „Orthosympaticus“ und der andere „Parasympaticus“. Erneut grob gesagt ist der Orthosympaticus der Stressmacher, der das Hormon Adrenalin in die Blutbahn ausschüttet und entsprechende Reaktionen hervorruft. Jeder kennt den berühmten „Adrenalinstoß“, wenn zum Schluss noch einmal alle Kräfte mobilisiert werden sollen, z. B. bei einem Wettkampf. Genauso ist der Orthosympaticus dafür verantwortlich, dass man in stressigen Zeiten um die Runden kommt. Wenn absolut keine Zeit ist, nur Arbeit, Arbeit, Arbeit, vergisst man zu essen, auf die Toilette zu gehen, Privates zu erledigen usw. Ist diese hektische Zeit dann vorbei, lechzt der Körper nach Ruhe, Pause und Erholung. Dann kommt der Parasympaticus in’s Spiel. Er ist in solchen Fällen der exakte Gegenpol, d. h. er sorgt dafür, dass man Hunger bekommt, sich schlafen legt und ganz allgemein wieder mehr auf sich schaut: Er ist der „Runterbringer“, der „Erholer“.
Im Normalfall ist es so, dass der Parasympaticus die gesamten inneren Organe mit Information versorgt, d. h. er ist derjenige, der sagt: „Nieren, der Mensch hat viel getrunken, filtert mal mehr Urin aus dem Blut“. Das läuft dann in die Blase, diese wird voller und voller und dann kommt es zum Kommando: „Auf Toilette gehen“. Genauso verhält es sich mit dem Magen und dem Darm. Der Parasympaticus reguliert z. B. auch die Produktion von körpereigenen Hormonen in der Leber und der Bauchspeicheldrüse und das Ausschütten in die Blutbahn. Er sorgt auch für eine vermehrte Durchblutung, dort wo es gebraucht wird. In der Fachliteratur liest man oft, dass der Parasympaticus auch als „Vagus“ bezeichnet wird, da überwiegend Nervenfasern dieses Gehirnnervs, des Nervus vagus, parasympatische Aufgaben übernehmen.
Der Orthosympaticus ist wie gesagt der aufbrausende Hektiker, der Stress verbreitet. Er hat Einfluss auf jede Zelle des menschlichen Körpers, d. h. auf alles. Er lässt den Körper bzw. bestimmte Gebiete z. B. auch geringer durchbluten. Bei einem Unfall, wo große Wunden entstehen, würde normalerweise das Blut nur so weglaufen, doch der Orthosympaticus „dreht den Hahn zu“; er sorgt dafür, daß nicht unnötig Blut verloren wird. Dies ist eine sehr sinnvolle Einrichtung in unserem Körper. Als weiteres Beispiel, sportliche Aktivität, z. B. Laufen. Woherweiß der Körper, dass momentan viel Blut in den Beinmuskeln gebraucht wird?
Der Orthosympaticus übernimmt diese Steuerung und zieht Blut beispielsweise von der Darmgegend ab, denn wenn gejoggt wird, muss nicht gleichzeitig auch noch verdaut werden. Auch das ist sinnvoll, da der Körper, je nach Alter, Geschlecht und Gewicht, nur ca. 7 l Blut im Kreislauf hat. Jetzt ist es aber so, wie oben geschrieben, dass der Orthosympaticus auf alles Einfluss hat, auch auf die inneren Organe, die ja eigentlich Spezialgebiet des Parasympaticus sind. Meldet z. B. der Parasympaticus „Blase leeren“, so kann der Orthosympaticus diese Information überstimmen, er hat immer das letzte Wort. Je nach Gemütszustand, den äußeren Umständen oder ähnlichem reagiert der Orthosympaticus mit dem Parasympaticus oder eben dagegen.
Der Orthosympaticus funktioniert in Wirklichkeit tausendmal komplizierter, d. h. diese Ausführungen sind sehr stark vereinfacht und abstrakt formuliert, d. h. sie treffen nicht immer perfekt so zu. Zum besseren Verständnis bediente ich mich entsprechender Beispiele. Der grundlegende Unterschied des vegetativen Nervensystems zum restlichen Nervensystem ist jedoch der, dass wir willkürlich direkt keinenEinfluss auf das vegetative Nervensystem haben. Beispiel: Wir wollen etwas essen, ohne zu überlegen können wir es tun. Über Befehle, die die Nerven vom Gehirn an die entsprechenden Muskeln leiten, wird die Muskulatur in Gang gesetzt, die die Nahrung zum Mund bringt, also Armmuskeln, und dann setzt die Kaumuskulatur ein. Dieses machen wir bewusst und mit voller Bestimmtheit.
Wir könnten jederzeit sofort mit dem Essen aufhören, wenn wir wollten. So, und jetzt kommt’s: Das vegetative Nervensystem, v. a. der Orthosympaticus davon, steuert, wie schon erwähnt, die Durchblutung, aber nicht nur das, auch alle anderen unbewussten Vorgänge im Körper. Z. B. müssen wir uns nicht darum kümmern, dass ständig das Herz schlägt, es tut es einfach oder wir atmen normalerweise immer ein und aus, auch im Schlaf. Man kann seinem Herzen willkürlich nicht befehlen, schneller zu schlagen. Es funktioniert nur über indirekte Wege, z. B. sportliche Aktivität. Jeder kann die Luft anhalten, aber reicht der Sauerstoffgehalt im Blut nicht mehr aus, so zwingt uns eine Art Reflex dazu wieder einzuatmen.Jeder Mensch schwitzt, der eine mehr, der andere weniger. Wer steuert und reguliert das? Genau, der Orthosympaticus des vegetativen Nervensystems. Ich kann nicht sagen: „Los, Junge, jetzt schwitz‘ mal!“, es läuft unbewusst ab. Erneut beim Sport öffnen sich die Schweißdrüsen, auch in der Sauna oder wenn ich zu warm angezogen bin. Wenn man unter Stress steht und geladen ist, ist man nervig, gereizt und nicht allzu freundlich. Nur sehr schwer, wenn überhaupt, kann man diese Reaktionen unterdrücken. Erst dann, wenn diese Zeit vorbei ist, kommt man runter, zu Hause, in gewohnter Umgebung kann man sich vielleicht besser erholen. Beide Male greift das vegetative Nervensystem als Erklärung, zuerst der Orthosympaticus, dann der Parasympaticus.
Man weiß zum Beispiel auch seit geraumer Zeit, dass Bindegewebe „anspannen“ kann, genau wie Muskulatur. So ist es auch erklärbar, dass es Bindegewebszonen gibt, die aufgrund Probleme von inneren Organen schmerzhafte Stellen auf die Haut „projizieren“. Diese sind behandelbar durch z. B. Akupunktur, Osteopathie oder klassische Bindegewebszonenmassage (siehe auch Info- Blätter) Die Stärke der Anspannung übernimmt erneut der Orthosympaticus und bei all den oben erwähnten Therapien nimmt man Einfluss auf diesen Teil des vegetativen Nervensystems. Wir selbst haben nicht die geringste Chance unsere Haut oder unser Bindegewebe, egal wo, willkürlich anzuspannen. Könnten wir das, gäbe es keine Schönheitschirurgen.
Die Quintessenz aus diesen Tatsachen ist für die physiotherapeutische Behandlung entsprechend groß, d. h. im Prinzip bei jeder Art von Kommunikation mit dem Patienten, Untersuchung und Behandlung und damit Berührung, beeinflussen wir das vegetative Nervensystem. Mit den richtigen Techniken kann man dementsprechend auch stimulieren oder abschwächen, je nach dem, welcher Teil des Systems gerade überwiegt.
Ist der Patient gerade sehr gestresst, versucht man den Orthosympaticus zu dämpfen, was aber nicht immer leicht ist, oder den Parasympaticus anzuregen (siehe „Craniosacraltherapie“).Ist der Patient seit längerer Zeit eher müde, antriebslos und hat zu nichts mehr Lust, überwiegt wohl eher der Parasympaticus und hier versucht man ebenfalls den Parasympaticus anzuregen. Grundsätzlich, von der Gesamteinstellung des Menschen her, ist mehr Einflussnahme des Ortho-als des Parasympaticus vorhanden. Dies wird auch in der Therapie berücksichtigt!
Das wichtigste für Sie als Patient oder Interessierter ist zu wissen, dass dieser Teil des Nervensystems, das vegetative Nervensystem, unter anderem dafür verantwortlich sein kann, wenn Probleme auftreten, die oft nicht durch apparatetechnische Untersuchungen wie Röntgen, Ultraschall, Computer- oder Kernspintomographie festzustellen sind.
Der Patient wird dann schon mal als „Rentenjäger“ oder Simulant hingestellt, da ja kein Arzt irgendetwas findet………, aber, wie man sieht, gibt es Menschen, die sich intensiver darüber Gedanken machen………
Ihr Godehard Stoll, Physiotherapeut und osteopatisch arbeitender Therapeut
P.S.: Ein herzlicher Dank geht an Henk Brils, der mir sehr viel Inspiration zu diesem Thema gab!!
Hinweis:Der folgende Text wurde von Godehard Stoll nach aktuellen Erkenntnissen der Medizin und Anatomie verfasst. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit bzw. Fehlerfreiheit.
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